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Geschichten mit Abstand

Ein Tag im Hause Mustermann

Wütend knallte Max das Telefon in die Ecke. "Jetzt reicht es mir", brüllte er in Richtung Küche. Erika zuckte mit den Achseln. "Halt mal die Luft an", sagte sie. "Du wirst dich daran gewöhnen müssen." Max schlurfte zu ihr, sie saß entspannt auf ihrer Yoga-Matte auf dem Küchenboden. Auf dem Tisch neben ihr dampfte eine Tasse Tee. "Ich soll mich daran gewöhnen?", knurrte Max. "Hier klingelt alle Nase das Telefon, weil irgendwelche Vollidioten sich mit meinem Namen registriert haben. Hier: Max Mustermann war bei den Drei Eichen in Bad Kissingen. Zeitgleich habe ich Labskaus gegessen, oben in Nordfriesland. Und außerdem gab es noch Sauerbraten im Rheinland." Erika lächelte. "Ich weiß", sagte sie leise. "Wir sind in der letzten Zeit auch kaum gemeinsam ausgegangen. Als es bei dir Sauerbraten gab, wurde mir ein Tofu-Burger aufgetischt, in Berlin-Mitte." Max grinste. "Na, da hab ich ja Glück gehabt. Der Sauerbraten war sicher besser." Seine Laune besserte sich. 

 

Sie waren seit etwas mehr als einem Jahr verheiratet. Schon bei der Trauung, in kleinem Kreis mit ihren besten Freunden, gab es Witze. Max Mustermann und Erika Mustermann - die Beamtin vom Standesamt fühlte sich zunächst auf den Arm genommen. "Sind das auch wirklich Ihre echten Papiere?", hatte sie gefragt und auf das Plakat an der Wand gedeutet. Dort hing es, das Bild vom Muster-Personalausweis, ausgestellt auf Erika Mustermann. 

 

Erika hatte sich schon als Teenager an den Spott über ihren Namen gewöhnt. Musterhausküchenfachgeschäft, wurde sie gehänselt. Manchmal hasste sie ihre Eltern dafür. Wenigstens ein anderer Vorname, Laura oder sogar Gisela. Das wäre doch ein Leichtes gewesen. Max hingegen, den sie über eine Dating-App kennengelernt hatte, die beide  sofort als ersten Match herausgefiltert hatte, brauste immer noch auf, wenn jemand sich über seinen Namen lustig machte. Das war ihm schon in so manchem Bewerbungsgespräch zum Verhängnis geworden.

 

Seit ein paar Wochen war Max kaum noch zu ertragen. Tag für Tag kamen Anrufe von Gesundheitsämtern in ganz Deutschland, die ihre Listen durchgingen und Mustermanns recherchierten. Erika und Max Mustermann waren hier essen und dort, manchmal an einem Tisch mit Donald und Daisy Duck. Jedes Mal waren Corona-Positive in der Nähe, eine Quarantäne nach der anderen wurde angeordnet. Inzwischen mehrten sich auch Strafandrohungen, sie hätten schließlich mit falschem Namen unterschrieben. Zu erklären, dass man wirklich Erika und Max Mustermann heiße und in der Mustermannstraße wohne, wurde zunehmend schwer.

 

"Hast du denn eine Idee, was wir tun sollen?", fragte Erika, während sie sich an den Küchentisch setzte und den Tee umrührte. " Max schwieg. Er überlegte und schnippte dabei mit den Fingern.  Erika verdrehte die Augen, das Schnipsen hatte sie noch nie leiden können. "Keine Ahnung," murmelte Max schließlich. "Zum Glück sind die Restaurants jetzt wieder zu und alle Mustermanns essen zu Hause. Vielleicht haben wir ein bisschen Ruhe" Erika trat zu ihm und begann, seinen Nacken zu kraulen. "Wir könnten mal wieder ein Muster machen...", versuchte sie ihren Mann auf andere Gedanken zu bringen. Er schob sie sanft zur Seite, überlegte es sich dann aber anders. "Du hast Recht,  meine Musterfrau", sagte er zärtlich. "Machen wir das Beste daraus. Ein Mustermännchen oder lieber ein kleines, süßes -frauchen?"

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann mustern sie sich noch heute.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ina Kloster-Hasenburg (Sonntag, 22 November 2020 20:15)

    Total süß die Geschichte und gar nicht so abwegig, denke ich :-)