Hier sitzen wir jetzt. Alle zu Hause, viele auf dem Balkon, im Hausbüro, vor der Glotze, wo auch immer. Es sind "vervirte" Zeiten, kann man sagen. Entweder ist man im Hier und Jetzt systemrelevant (andere sagen: systemkritisch), oder man ist es nicht. Die Welt steht auf dem Kopf. Diejenigen, die bis vor wenigen Wochen noch die Vergessenen waren, halten den Laden am Laufen. Applaus für Verkäufer und (weil in der Mehrzahl) Verkäuferinnen in Supermärkten, Drogerien, Bäckereien, Apotheken usw. Applaus für Ärzte, Pflegekräfte, auch die in den Altenheimen. Applaus für Streifenpolizisten, Sanitäter, Feuerwehr, Bus- und Straßenbahnfahrer. Und Fahrerinnen. Und, und, und. Applaus für all die, die im normalen Leben vor allem eins sind: unterbezahlt und wenig gewertschätzt.
Ein bisschen wie auf der Titanic
Aktuell sehen wir auch wohin es führt, wenn wir Lebensmittel und anderes wie Artikel der medizinischen Grundausstattung am anderen Ende der Welt produzieren lassen und auch sonst sparen, wo es geht. Die Grenzen sind dicht. Nichts und niemand kommt rein oder raus. Nicht einmal für den geliebten Spargel haben wir genügend Erntehelfer. Die Wirtschaft steht still. Wer auf Jobsuche ist, hat es schwer - und wird es auch in naher Zukunft gemeinsam mit all den Kurzarbeitern, die in ein paar Monaten ebenfalls einen neuen Arbeitgeber suchen müssen, nicht leicht haben. Corona hat die Prioritäten verschoben. Das Virus zeigt eiskalt auf, wo es hakt in unserem System. Ein bisschen wie damals auf der Titanic. Wer hätte gedacht, dass wir so verwundbar, so leicht zu versenken sind?
Wird die Welt sich neu organisieren?
Wie gut, dass es Mutmacher gibt. Matthias Horx zum Beispiel. Er blickt in seiner "Re-Gnose" vor und gleichzeitig zurück, aus dem Herbst ins Frühjahr 2020. Die Welt sehe dann anders aus, so der Zukunftsforscher. Keinesfalls schlechter - denn wir werden aus den Fehlern lernen und uns neu organisieren. Wir werden nicht vergessen, "wieviel Humor und Mitmenschlichkeit in den Tagen des Virus tatsächlich entstanden ist." Und, so schreibt Horx weiter: "Die kommende Welt wird Distanz wieder schätzen – und gerade dadurch Verbundenheit qualitativer gestalten. Autonomie und Abhängigkeit, Öffnung und Schließung, werden neu ausbalanciert. Dadurch kann die Welt komplexer, zugleich aber auch stabiler werden." Klingt gut, allein der Preis ist hoch.
Sprachlos und traurig
Hier und jetzt sind wir mitten drin in der Krise. Selbst, wenn die Welt in naher Zukunft möglichweise ein bisschen besser sein wird: Hier und jetzt sterben Menschen. Hunderte an jedem Tag. Andere opfern sich auf, arbeiten rund um die Uhr, manchmal bis zur Verzweiflung. In Italien, in Spanien, in den USA, in Deutschland - und sicher bald auch in Indien und auf dem afrikanischen Kontinent. Das macht sprachlos und traurig. Und im übertragenen Sinne systemkritisch.
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